h a u k e p r e u s s . d e   -   Geschichten   &   Horizonte

Dylan und Hooker.

Mal angenommen, Greenwich Village hätte Anfang der Sechziger genauso in St. Pauli gelegen wie es Liverpool nie getan hat. Mal angenommen, ich wäre damals schon auf der Welt gewesen...

Ich stand da gerade pissen und hörte mir Dylan und John Lee Hooker an und stellte mir vor, wie es damals, 1961, war als die beiden gemeinsam auftraten, Dylan jeweils vor Hooker. Dylan noch eine Null, zumindest weitgehend unbekannt, gerade aus Minnesota über den Atlantik geschwemmt worden, Hooker dagegen seit Jahren eine Blues-Ikone, die einzige zumindest sichtbar überlebende. Viele andere waren ja inzwischen verarmt gestorben, vom Erdboden und Erdbeben verschluckt oder im Mississippi-Delta versunken, oder im besten Fall von eifersüchtigen Liebhabern vergiftet – da hatte man wenigstens noch was vom Leben gehabt, auch wenn man eventuell zuvor seine Seele an den Teufel verkauft hatte.

Die beiden stehen gemeinsam am Pissoir, starren in die entgegengesetzte Richtung, schütteln umständlich ab und gehen dann in die kalte Backstagekabine vom Kaiserkeller, um noch ein Bier zu trinken und eine Zigarette oder vielleicht auch einen Joint zu rauchen. Wenig später steigen sie auf das scheißkleine Bühnentableau, der eine um den alten Blues herauszubellen. Der andere um den neuen Blues zu predigen, wie er nur Wochen, Monate später, überall in den Straßen Hamburgs zu hören war, „how many roads must a man walk down...“

Ich erwachte aus einem Traum, in dem sich zwei Komponenten zusammenfanden: Mein noch immer nicht entnazifizierter Lehrer in der Grundschule, der mir erklärte – ich war so gegen die zehn Jahre, alt wahrscheinlich auch – wie der besondere, typisch amerikanische Zungenschlag bei „Blowin’ In The Wind“ das alles ausmache und die Vorstellung zum greifen nah erscheinen ließ, jahrelang staubige Straßen entlang zu wandern, mit nur dem einen Ziel, irgendwo anzukommen. Aber ich habe mich nie auf die Tour gemacht, um zu sehen, was auf all den staubigen Straßen Hamburg, die Dylan zweifelsfrei besungen hatte, zu finden ist. Das schlimme daran ist, der Altnazi hat mich lange davon abgehalten, denn ich mochte den Empfehlungen von Autoritäten, die mit ihrer finsteren Vergangenheit nicht ins reine kommen wollten, nicht folgen.

25 Jahre später treten beide erneut gemeinsam auf, Hooker als Gaststar bei Dylan. Diesmal aber freilich nicht in der zwischenzeitlich geschlossenen Kaschemme Kaiserkeller, sondern wie es für einen Weltstar angemessen war, auf der Festwiese im Stadtpark. Die offiziellen Zahlen belegen rund 90.000 Zuschauer, aber da fehlen die vielen tausend Menschen, die über die Absperrungen geklettert sind, sich vom Planetarium abgeseilt haben oder durch den Stadtparksee geschwommen sind, weil sie über die legalen Kanäle keine Karten mehr bekommen konnten.

Ich stelle mir also vor, wie 1986 die beiden Legenden - mittlerweile war Dylan schließlich selbst eine sich mitunter selbst karikierende geworden - nebeneinander am Pissbecken stehen, vielleicht über die Sichtblende linsen, und darüber schwadronieren, wie es damals auf St. Pauli war – die guten alten Zeiten, als die Frauen noch auf ihre Körper und ihren Genius scharf waren, nicht so wie jetzt, wo sie nur noch aus finanziellen Interessen begehrenswert waren. Hooker hat in der Tat mittlerweile seinen körperlichen Zenith überstiegen – schließlich war er bereits in seinem siebzigsten Lebensjahr, und er hatte beileibe nicht immer die Pfade der Tugend beschritten. Vielleicht erzählt Bob gerade von der süßen, üppigen Prostituierten, die er in der Davidsstraße aufgegabelt hatte, und die es mit ihm in seiner schäbigen Bude in der Silbersacktwiete kostenlos gemacht hatte, weil er ihr ein kurzes Privatkonzert gegeben hatte. Möglicherweise erzählt John auch, leicht übertrieben und verklärt, wie er nach seiner Rückkehr aus Hamburg in seine Heimatstadt Shreveport die Nacht seines Lebens mit nicht weniger als vier Ebenholz-Schönheiten gleichzeitig erleben durfte.

Dylan lächelte dann sein kaum durchschaubares Lächeln, das sowohl unergründliche Freude als auch ironisch tief empfundenen Schmerz bedeuten konnte, und sie gingen gemeinsam in den eigens für dieses Ereignis errichteten Backstage-Bereich. Es war, etwas unsinnig um ehrlich zu sein, einem orientalischen Zeltdorf nachempfunden – immerhin schufen die als Haremsdamen verkleideten Hamburgischen Hostessen mit Ihren langstieligen Fächern eine angenehmere Luftzirkulation in den durch die Julisonne aufgeheizten Zelten. Er wusste sehr wohl, dass nicht alles immer so bilderbuchmäßig abgelaufen war, und auch John war sich trotz möglicherweise einsetzender Alterssenilität durchaus im klaren darüber, dass man über alles lachen kann, solange es nur schon vorbei ist.

Das Konzert hingegen war eher eine Demütigung für Hooker. Auf allen landesweiten Plakaten als Gaststar angekündigt, durfte er nur bei zwei Liedern auftreten. Es kann gut sein, dass der eine oder andere Bluesfan auf einen längeren Soloteil von Hooker gehofft hatte und nur deshalb aus Schwaben oder Franken angereist war. Dennoch gab es langanhaltenden Applaus nach den beiden Songs von John, „Rock With Me Baby“ und „Good Rockin’ Mama“. Schließlich trat er mit zunehmenden Alter in Europa immer seltener auf, wie man hörte, machten ihm die Strapazen der langen Flugreisen immer mehr zu schaffen. Ich weiß nicht, ob die Kürze des Auftritts auch Dylans späte Rache für die minimalistischen Supportshows in der Großen Freiheit sein sollte – vielleicht konnte Hooker es aber in der heißen Hamburger Sonne aufgrund des Alters auch nur so kurz aushalten, ungeachtet seiner Herkunft in der schwülen Hitze nahe der texanischen Grenze.

Da taucht vielleicht die Frage aus dem Lake Superior, Lake Bistineau oder auch nur aus dem Stadtparksee auf, ob Dylan ein Arschloch ist und seine Helden verrät und durch den Schlamm des Mississippi zieht. Zum einen hat aber Dylan immer gerne Lieder seiner Vorbilder wie Robert Johnson, Muddy Waters, Eric Van Schmidt, Woody Guthrie und eben auch John Lee Hooker auf der Bühne zum Besten gegeben, zum anderen ist dabei ist auch zu bedenken, dass das alles hier nur mal angenommen ist, Dylan nie im Jahre 1986 im Stadtpark aufgetreten ist, geschweige denn 1961 im Kaiserkeller. Aber man kann sich ja einiges vorstellen, wenn man so dasteht und sein Wasser abschlägt.


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