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Die Ruhe vor dem Sturm.

I/8/95

Wenn man unvermittelt in eine Horde gelbgekleidete dreizehnjähriger Frösche hineintrudelt, ist dies Grund genug, sich des Ausreißens zu bedienen. Schlimmer scheint es nur noch werden zu könne, wenn diese Flucht geradewegs nur noch tiefer in die grelle Höhle (Hölle) (Holyhead?) des kreischenden Löwen geführt wird. Im weitern Verlaufe scheint sich die Problematik temporär zu verflüchtigen, bedenkenswert bedauernswert wird es dann wieder, wenn der Rückzug aus der Hölle nur wieder in einem dröhnenden infernalischem Desaster landen wird, lange bevor überhaupt Land in Sicht zu erscheinen gedenkt.
Spiegelreflexierend mit dem nichtssagenden Wasserhorizont hüpfen vielendende nichtsausdrückendende Posterkennungszeichen tragendende nicht alle des Schwimmens mächtige Backfische durch die – als ob es nicht schon so laut genug wäre – Gegend (da sind sie schon wieder! – Die Strichliste an der Seite zeigt in Bruchstücken die Frequenz ihres Auftretens). Wie gut, dass ich in dem Alter nicht auch Backfisch war – damals haben wir nicht kichernd und quiekend die Umgebung unsicher gemacht, sondern den ersten Erfahrungen mit der Sünde Alkohol entsprechend verwundert verwirrt aufgekratzt lallend um zehn Uhr abends (es wäre den wenigsten eingefallen, in dem Zustand noch „zweiundzwanzig Uhr“ zu sagen), alle auf dem Weg liegenden Toiletten vomittierender- und urinierenderweise zu ge- bzw. missbrauchen. Früher sagte man wohl, dass die eben beschriebenen Backfische bei der günstigen Gelegenheit der ersten Fahrten ohne die alles mit Argusaugen bewachenden Eltern zu einem guten Prozentsatz – ob nun 30 Prozent aller weiblichen Wesen in dem Alter oder 60% der nicht-männlichen Teilnehmer einer solchen Fahrt spielt wohl keine so große Rolle – ihre Entjungferung erfahren durften, wenn nicht auf dem Weg, dann doch zumindest in den ersten drei Nächten – oft bestimmt auch nach der ersten entweder selbst oder mit der besten Freundin geleerten Flasche billigen Weins – einem Chianti oder Sangrita etwa – oder Sektes (Herzog Alba) – aber hier sind zumindest in der Touristenklasse der Kopfraum der Betten so flach, dass selbst für die bei der Defloration handelsüblichen Missionarsstellung (im heterosexuellen Sektor wird die anale Defloration in weit mehr als 90% längere Zeit nach der vaginalen erfolgen) der obenliegenden (Junge, wenn man der Tradition folgt) schon sehr aufpassen muss, wenn er nicht mit dem Hintern, oder schlimmer noch mit dem Kopf ständig gegen die Decke stoßen will.
Wie war das denn so, als ich und meine mir gleichgesinnten Altersgenossen in dem Alter waren, als man noch ungestraft und dem Zorn des Bordpersonals nicht ausgesetzt in dem von Glastüren und Glasscheiben abgetrennten, 35 m² großen, durch Treppen und Plateaus gefällig gestalteten, mit roten, gelben, grünen und blauen tennisballgroßen Plastikbällen gefüllten Kinder-bis-6-Jahren Spielraum nach Leibeskräften herumtoben durften? Warfen wir damals auch nach den Jungs allzu gefällig mit spielenden Mädchen mit den Bällchen und schimpften sie ‚Boy Toy’? Das wir, heute so aufgeklärte und tolerante junge Männer, uns zu solchen sexistischen Äußerungen hinreißen ließen, kann ich mir jetzt eigentlich kaum vorstellen. Im Gegensatz dazu sah ich eben, wie ein Junge aus diesem Grunde von drei Mädchen seines Alters mit besagten Weichplastikkügelchen nahezu zu Schande gesteinigt wurde und dabei im Chor als ‚Toy Boy’ lautstark tituliert wurde. In diesem Alter ist die Klüngelbildung (ebenso wie in allen anderen Altersstufen auch) bei männlichen Wesen noch nicht so stark ausgebildet (und eigentlich bleibt ein echter Mann ja sein Leben lang ein einsamer Wolf), und da wir zu diesen Zeiten noch nicht so oft zusammen in Urlaub fuhren, schon gar nicht auf Fähren, die zwanzig Stunden ununterbrochen unterwegs sind (wer soll denn das als normaler Mensch aushalten), werden wir uns wohl auch nie kollektiv so diffamierend unseren potentiellen Ehepartnern gegenüber verhalten haben. In diesen Tagen werden wir uns freilich hüten (es sei denn, es handelte sich um ein besonders abstoßendes Exemplar der Spezies Frau) uns negativ über auch nur einen sichtbaren (und möglichst auch unsichtbaren) Aspekt oder Merkmal zu äußern, um nicht die latent vorhandene Möglichkeit zu vernichten, an diesem Abend doch noch die kopulative Kopffreiheit der Touristenklassebetten auszuprobieren.
Dieses kleine Mädchen dort durch die Glaswand abgeschnitten ist zwar in seiner Eigenschaft als menschliches Wesen unter 10 Jahren potentiell nicht positiv zu bewerten, birgt allerdings in ihrem Aussehen (nicht zuletzt durch ihre brillianten roten Haare) und Auftreten viel Potential einer durchaus in einigen (zehn) Jahren bemerkens- und beachtenswerten Frau auch wenn ich es den Pädagogikpsychologen überlasse, diesen Nbl-Fall zu übernehmen (und ihre Eltern sind auch eher der gutbürgerliche Teil der Gesellschaft (und wenn sie dann in zehn oder zwölf Jahren) auf den Titelbildern von ‚Times’ und ‚Newsweek’ (in einer Woche) erscheint, werde ich wohl nicht mehr wissen, dass ich heute dabei war wie sie im Glaskasten der bis 6-jährigen ‚Laufstegschritte’ geprobt hat (und selbst wenn würde es mir nicht mehr als eine moralische Befriedigung verschaffen können) Aber die See ist heute mild und soft zu uns. Kaum werden heute seekranke blassgesichtige Zombies zum Klo entlang wanken, und wenn dann eben nur solche, die bei der bloßen Erwähnung des Namens ‚Nordsee’ mit vor den Mund gehaltenen Händen in Richtung Becken rennen. Entspannt gestimmte Personen setzen sich zu mir, essen Pommes, trinken Kaffee, drehen sich VanNelle-Zigaretten und sagen die ganze Zeit nichts, aber immerhin ‚Tschüß’, wenn sie wieder gehen.
Doch langsam ist es bald soweit, dass hier sämtliche Bären versuchen wollen zu steppen... – Fehlanzeige, wie mir scheint, denn H-Hour ist schon vorbei, und monotones Stamp-fen und planloses Geschreie offensichtlich nymphomanischer Frauen bleibt bislang (gottseidank, wenn es ihn gäbe) noch aus und ich werde nicht solange warten, bis es einsetzt.

2. August


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