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Home, home again.

XVI/8/95

„London, fuck, you’re pissing me off“ – Zitat Sonic Youth – und mir geht’s nach zwei Wochen Irland genauso. Deswegen hänge ich auch lieber noch vier Stunden am Terminal in Harwich rum und trinke Kaffee, als mein Gepäck die ganze Zeit durch das Londoner Gewusel zu Schleppen. Das Warten in Harwich kenne ich immerhin schon... und er Terminal ist auch keiner der unfreundlicheren – zumindest tagsüber – nachts wird man ja rausgeschmissen und muß entweder in verlassenen Schuppen oder bei freundlichen Bahnangestellten übernachten. Aber dazu kommt es heute nicht mehr – auch wenn das Bett auf der Fähre nicht viel besser als der Sessel im Freien damals war (leicht übertrieben).
Auf der Fähre nach Hause – letzte Etappe am 16. Tag kurz vor Ultimo – noch 17 Stunden bis zum alten Hamburg, und schon 22 von ‚Dirty Old Town’ Dublin – 39 Stunden trennen mich also auf dem wohl langsamsten Weg nach Irland – nächstes Mal nehme ich das Flugzeug – denn dieses nächste Mal wird es definitiv geben, und wenn ich bei McDonalds das Klo schrubbe, um die Kohle dafür zusammen zu bekommen – außerdem gibt es einen ‚Shuttle-Service vom Bahnhof zum Flughafen’, keine vagen Vermutungen ob und wo und nicht vielleicht eine Fähre abfahren könnte, und vom Flugzeug kann man, wenn man abends fliegt, vermutlich nicht so lange mit Tränen in den Augen auf Irland zurückblicken, wie vom Schiff aus Dublin Port kommend (wie es von Dun Laoghaire, das weiß der Teufel warum Dun Leary ausgesprochen wird) aussieht, weiß ich auch nicht, aber wohl nicht viel anders).
78 Stunden Anfahrtszeit, 3 ¼ Tage für 298 Stunden Aufenthaltszeit, 12 5/6 Tage – aber laß ma Alter, es hat sich schon gelohnt – jede gottverdammte (auch wenn man in Irland von gesegneten sprechen sollte) Sekunde war es wert, sei es um 5am in der Morgendämmerung irgendwo zwischen Galway und Oughterard, in schlecht beleuchteten Tunnelgängen bei Killarney, singende Postbeamten um 11pm in Donegal, Schafherden auf eigentlich nicht von Bussen zu befahrenen Straßen auf Achill Island, phantastische, keltische Sagenwesen formende Wolkenformationen am Himmel in Zentralirland, Füße baden in Sichtweise der Inspirationsstätte eines der schönsten Gedichte überhaupt, herzlich freundliche Kellnerinnen, die vom letzten Bier am Abend bis zum Frühstück am Morgen und dem Wegebier am Mittag immer für Dich da sind – die Liste der wertvollen Güter, nicht zu vergessen die pint o’guinness, die wirklich nur hier (das heißt leider dort) wie eine echte pint o’guinness schmeckt, ist beliebig erweiterbar.
Kaum war ich übrigens, nach der Überfahrt nach Holyhead, auf britischem Grund und Boden, im Zug Richtung Crewe, war eine eindeutige und tiefgehende Änderung der Stimmung zu spüren und zu beobachten – ein offensichtlich angetrunkener Mann, der eigentlich nur fragen wollte, ob das hier das Raucherabteil sei, und ob jemand Feuer für ihn habe, wurde mit abfälligen Blicken und gemurmelten Bemerkungen gestraft – in Irland hätte er vermutlich noch mit einem Scherz auf den Lippen Feuer bekommen, über den er auch noch hätte lachen können.
Nebenbei bemerkt kamen wir auch in Chester vorbei, wo ich 1992 ein paar nette Tage auf der Studienfahrt verbracht habe. Ich wage ja nicht zu erwarten, wie mir die allgegenwärtige Spießbürgermentalität der Deutschen auf den Sack gehen wird, zumindest in den ersten paar Tagen, wenn ich wieder in der „Heimat“ (referring to „ein lichterer Morgen“), die sich nur dadurch manifestiert, daß mein Identitätsbeweis mich als Staatsbürger der Bundesrepublik Deutschland ausweist – und vielleicht noch dadurch, dass ich die deutsche Sprache am besten beherrsche. Sonst nichts.
Wenn ich vorhin noch einmal „The Lake Isle Of Innisfree“ als eines der schönsten Gedichte auszeichnete (natürlich geschlagen von „The Love Song Of Alfred Prufrock“ & „The Waste Land“); dann muß, wenn denn schon die Rede auf die Missachtung und Auflösung traditionell anerkannter Werte und zur Gewohnheit gewordener Gefühle kommt, doch auch noch, im Zusammenhang mit irischen Dichtern selbstverständlich, von der vielleicht schönsten Kurzgeschichte überhaupt erwähnt werden – auch wenn dieses hier momentan keine eigentlich wohlverdiente stilistische und inhaltliche Abhandlung sein wird – die kommt möglicherweise irgendeinmal später – und ich meine selbstverständlich „The Dead“ (die toten) von dem HERRN JAJoyce, ein in Leichtigkeit, erzählerischer Dichte und ungekünstelter Sentimentalität ungeschlagenes Werk, über die Erinnerung als einen entscheidenden Faktor in einer von Lügen und Schein geprägten Welt, oder als einen Auslöser für eine solche. Nebenbei stammen die Verwandten des ersten Liebhabers Grettas, in dieser Erzählung aus Oughterard, wo ich bekanntlich den Sonntag Morgen verbracht habe (ach! als wäre es gestern) – Dort wies kein Schild auf eine Koinzidenz mit den Dubliners hin – in Dublin hingegen entdeckte ich auf der Connolley Street ein Schild im Fußweg vor einem Pub, das einige Zeilen, diese Lokalität betreffend, zitierte. – Kein Zufall, denn es war nicht das einzige.
Cock heißt Schwanz, auch (oder gerade) die Tatsache, dass es in Coke-Schriftzug weiß auf knallrot auf einem T-Shirt durch die entsprechend zu motivierende Landschaft getragen wird, unterstreicht diese Erkenntnis – nur dass die Trägerin das, was sie so herrlich direkt mit ‚cock’ markiert, in Wahrheit mit ‚Tits’ bezeichnen sollte, diese Aufgabe würde ich doch entweder ihren Eltern oder (falls vorhanden) ihrem Boyfriend zufallen, allenfalls noch ihrem Biologielehrer.
Da ich inzwischen beim Anfang, nämlich bei Beobachtung von der Fähre, angelangt bin, betrachte ich hiermit den Kreis für geschlossen, und versuche nun, ihn per Interpunktion vollkommen zu machen. (übrigens bin ich froh, dass der Kreis nicht bis zu den gelben Fröschen hin geschlossen ist – soviel peinlicher deutscher Tourismus wäre mir vielleicht heute doch zu nekrophil gewesen)
Die Reise begann mit und als ein Fragezeichen – ich wusste nicht, wohin sie mich führen würde und wo es es wert sein würde, zu verharren – und so kam es, dass ich als Akkumulator des Ausrufezeichens des irischen Lebens durch die Landschaft reiste – und da die Iren wenn sie geradeaus wollen, immer um die Kurve gehen, steckte auch hinter diesem (eigentlich ja geraden) Ausrufezeichen, manche Ecke und Kante, die zu erfahren (zumindest in den gröbsten Grundzügen) es galt. Mancher Ort, wie Dublin oder Galway, die als ein Punkt auf meiner Reise anvisiert waren, mutierten aufgrund des Chaos bei der Ankunft und der Hoffnungslosigkeit, in einem einigermaßen menschenwürdigen Bett (was die Kosten oder die Fülle des Anbieters betrifft) zu übernachten, zu bloßen ausgerutschten Kommas im Reisebericht, andere, wie vornehmlich Westport, wurden vom leeren Raum zum Punkt, dem längsten Aufenthalt.
Ein Gedankenstrich an der Grenze zu Nordirland – zuerst gerade gedacht, dann doch als Tilde für Unruhen hier und dort entpuppt, führte schließlich mehr als nur zufällig zum Doppelpunkt in Athlone; inzwischen wünschte ich, das Semikolon in Tullamore vor den letzten drei Punkten, das fortlaufende, sehnsüchtige symbolisierend, weggelassen würde, trotzdem werde ich Siobhan nicht so schnell zum Komma werden lassen.
Athlone, von meinem Reiseführer gnadenlos verschmäht, entwickelte sich zum Geheimtip der Reise, nachdem gerade Donegal nicht mehr viele Wünsche offen ließ. Galway war jedes Mal, wenn ich dort mehr oder weniger genervt erschien, zum weglaufen – allerdings nur, weil ich mit vollem Marschgepäck dort auftauchte, etwas leichter bepackt hätte ich bestimmt meinen Spaß gehabt.
Dublin entwickelt sich bei einem näheren Blick, auch wenn eher zufällig hinter seine Kulissen, ebenfalls seinen Charme – das nächste Mal werde ich mich rechtzeitig um eine Schlafmöglichkeit kümmern. In den Metropolen muß man sich also kümmern, wo man bleibt, ansonsten wird der Spirit of Ireland früher oder später egal wo man übernachtet (und sei es auf einer Wiese nördlich von Galway) einholen, verzaubern und festhalten, wo auch immer Deine Füße Dich tragen wollen.
Und das Schlusswort schließlich:
Möge die Sonne scheinen, doch nie zu lange
Möge der Regen fallen, doch nie zu lange
Mögen die Winde wehen, doch nicht zu lange
Mögen die Meere und trennen, doch nie zu lange
Meine Gedanken bleiben bei dir

P.S. (irgendwo vor dem Ende einzusetzen)
Geoff aus Georgia tat ich (mit Tränen in den Augen im Dubliner Hafen) ehrlich leid, und selbst die (deutsche) Frau an der Information hörte den Schmerz in meiner Stimme als ich, sie als deutsche erkannte, ein „zurück in Deutschland“ seufzenderweise von mir gab.

P.P.S.
Das Leben ist trotzdem, was uns Langeweile und Fernsehen einreden will, noch immer ein Abenteuer


15. August



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