h a u k e p r e u s s . d e   -   Geschichten   &   Horizonte

Martello Tower in the sun.

XV/8/95

Natürlich musste es soweit kommen: die Fähre morgens aus Dublin habe ich verpasst, obwohl ich schon um 6am aufgestanden bin (war nicht so tragisch, ich habe eh kaum geschlafen und an Siobhan gedacht), und bin dann ungeduscht, ungefrühstückt, dafür aber bezahlt, zum Bahnhof gegangen, um den 7.02 nach Dublin zu kriegen. Dort angekommen, schien kein Busfahrer oder Bahnangestellter zu wissen, dass es in Dublin zwei Fährhäfen gibt, und haben mich dann zum falschen geschickt – was ich eigentlich auch wusste, aber immerhin habe ich so meinen Zeitvertreib für den Tag kennengelernt: S-Bahn (DART) – Fahren. Nachdem ein Sealink-Angestellter meinen Verdacht bestätigt hatte, war klar, dass ich noch bis 8.45 pm Zeit in Dublin hatte – was natürlich sehr willkommen war (im Vergleich mit einer Nacht vor Harwichs Fährterminal erst recht). Das gab mir Gelegenheit, doch noch das Trinity College zu besuchen – die Besichtigung des Book of Kells (wirklich hübsch) und des Long Room (unglaublich beeindruckend – da ist die Bücherhalle Harburg mein Nachttisch) – auch wenn die Frage bleibt, wem diese Bücher wirklich nutzen, so phantastisch alt und wertvoll, dass sie keiner anfassen darf – aber die Atmosphäre zwischen den 5 Meter hohen Regalen mit mächtigen, ledereingebundenen Bänden gefüllt und von Marmorstatuen von Sokrates über Aristoteles zu Locke und Swift bewacht, ist unvergleichlich.
Vor dem Gebäude eine meiner zahlreichen Pausen einlegend (obwohl es die Nacht über ein wenig geregnet hatte, war es wie immer drückend heiß) wurde ich Zeuge eines nach meiner Beobachtung recht unmotivierten Ringkampfes zwischen einem Besucher des Colleges und einem Sicherheitsangestellten, der sich plötzlich einigen Faustschlägen ausgesetzt sah. Immerhin dauerte es einige Minuten und bedurfte der Hilfe eines Zuschauers und mehrerer zur Unterstützung angeforderter Sicherheitskräfte, um den Mann schließlich in die Gewalt zu bekommen und in Handschellen abzuführen. Nähere Umstände konnte ich dann nicht mehr erfahren, denn bevor ich als Zeuge vernommen werden konnte, machte ich mich aus dem Staub.
Unterwegs kam ich dann am Büro der Irish Ferries, welches mir schon bei meiner Ankunft vor zwei Wochen aufgefallen war, und klärte meine Mitfahrgelegenheit auf der Abendfähre, so dass auch das geklärt war. Nun war endlich Gelegenheit, das versäumte Frühstück nachzuholen, die Stunde war immerhin schon nah an Mittag vorangeschritten, und wie der Zufall es so wollte, lag gleich neben dem Büro einer meiner geliebten Abakebabras, der allerdings den guten Erfahrungen besonders aus Sligo etwas hinterherhinkte, stellte sich doch der vegetarische Kebab als nahezu unessbar dar, was bestimmt nicht auf den Geschmack bezogen ist, aber er fiel schon bei dem Gedanken, ihn anzufassen auseinander – der Kebab gestern in Tullamore ließ sich hingegen perfekt verspeisen, ohne dass auch nur ein Blättchen Eisbergsalat herunterfiel.
Trotzdem war ich gestärkt, und entschied mich deswegen, den Zug in Richtung Martello (i.e. James Joyce) Tower zu besteigen, der mich zumindest in dessen Nähe bringen sollte. In Sandymount ausgestiegen, wies kein Schild auf die Anwesenheit des Turmes hin, also folgte ich meinem Instinkt, der erst einmal zum Geburtshaus von W.B. Yeats führte, dann zu seiner Büste im Park von Sandymount (wesentlich konservativer als sein Ehrenmal in Sligo), und, nach langem Weg in der unbarmherzigen Hitze, zum Martellotower – der natürlich seit 2 Stunden geschlossen war. Also ließ ich mich vor ihm nieder, blickte auf die irische See und stellte mir vor, wie hier im Juni 1904 drei Männer gebadet haben. Wieder abgetrocknet machte ich mich (bald wieder schweißgebadet) zurück zur DART-Station.
Einmal sicher im Zug fuhr ich dann weiter nach Süden – wieder an Dun Laoghaire vorbei, nach Süden, bis in Bray Endstation war. Dort traf ich einen netten alten Iren, und wir plauderten über 9 Wochen Trockenheit in Irland und den Arbeitsmarkt in Europa. Auf dem Weg zurück nach Norden zeigte er mir noch den ungefähren Ort, in dem Bono mit wirklich traumhaften Blick auf die irische See in einer Villa umgeben von den modernsten Sicherheitsanlagen wohnt – Geschmack hat er ab und zu auch noch. Dann noch mal eben kurz rauf nach Howth – teuerstes Wohnviertel Dublins (auch wenn es im Norden gelegen ist) – Howth Castle & Environs – bis es langsam Zeit wurde, in Richtung Connolly Station zu blicken, und damit auch unaufhaltsam dem Abschied entgegen. Deshalb schnell noch in den nächsten Pub, ein letztes pint o’guinness sehnsüchtig genossen, das letzte auf irischem Boden für viel zu lange Zeit, und dann das Taxi zum Fährableger, inklusive kurzer Stadtführung durch den Fahrer bestiegen. Diese letzten 9 Zeilen sind also schon nicht mehr auf irischem Grund und Boden, sondern auf der Fähre, die freilich noch im Hafen von Dublin liegt, entstanden. 298 Stunden Irland bleiben zurück. Stundenlang könnte ich auf die Hafenlichter zurückblicken, als wir den Hafen verlassen, aber dadurch kehre ich auch nicht zu ihnen zurück... nur in Gedanken – und die werden sowieso dort bleiben... ach Scheiße, ich könnte eher heulen, als sinnvolle Beobachtungen von mir geben...

Vier grüne Felder und ein weites Herz
Legionen von Schafen und Abschiedsschmerz
Das Licht in den Fenstern und Feuer im Herd
Verlassene Hütten, des Bleibens nicht wert
Freundliche Augen und sanfte Hand
Ehrlichkeit und dem Gast zugewandt
Gestotterte Erinnerungen an Irland


Sounds like a piece of shit, aber zu mehr bin ich momentan nicht fähig – Nett übrigens, den Typen aus Georgia, den ich in Westport kennengelernt hatte, auf der Fähre hier wiederzutreffen.
Nun also wieder auf der britischen Insel, auch wenn die walisische Zweisprachigkeit hier in Holyhead zumindest formell noch einen vagen Hoffnungsschimmer erhalten könnte, dass man doch noch auf der richtigen Insel sei, würde ich es nicht besser wissen und im allgemeinen an faktische Realitäten glaube – auch wenn sich das nach diesem Urlaub ein wenig geändert hat – in wie weit sich das später auswirken wird, steht noch in den Sternen.
Der Zug steht und harrt der Dinge, die da kommen, und wartet nebenbei noch auf den Rest der Menschen, der blöd genug war, Irland zu verlassen, und vielleicht den Anweisungen des Bahnangestellten nicht so ganz Folge leisten wollten, dass dieser Zug nach Coventry fährt, Reisende nach London in Crewe aber umsteigen müssen. Schon was anderes, um 2am noch im Zug zu sitzen – in Irland macht der letzte Bahnhof in Ausnahmefällen (siehe Galway Races) um 10 pm die Schotten dicht, und an sich war es schon ungewöhnlich genug, dass zumindest die theoretische Möglichkeit bestand, die Fähre um 9.45am von außerhalb Dublins noch zu erreichen – der Zug fährt so gegen 5.30am aus Galway los – zu diesen Zeiten steht eigentlich kein normaler Ire auf. Was mich an den Fährabfertigungen immer fasziniert, oder auch anwidert, ist die mechanische Repetition der Kommandos und hilfreichen Hinweise für jeden einzelnen dämlichen Fahrgast durch das Hafenpersonal. Es erinnert mich, wohl nicht nur zufällig, an den Kreuzigungsbeamten in „Leben des Brian“ : „Zur Kreuzigung?“ – „ja“ – „zweite Tür links hinaus, jeder nur ein Kreuz“ – wie die Uniformierten wohl reagieren würden, teilte man ihnen mit, dass man begnadigt sei, sprich eigentlich noch mal aufs Schiff zurück müsste, weil man sein Taschentuch, ein Konfirmationsgeschenk von der leider vor zwei Jahren verstorbenen Tante Hedwig, in der Lounge habe liegen lassen?
Das Schiff, mit dem ich beide Male die irische See überquert habe, heißt übrigens „Isle of Innisfree“ – I will arise and go now, go to Innisfree... nur dass das ‚will’ leider nur ein ‚want to’ bedeuten kann... – und die irischen Behörden wollten nicht ein Mal bei Ein- oder Ausreise meinen Personalausweis sehen – Namen sind bloß Schall und Rauch, und Vertrauen ist auch genug vorhanden – bei deutschen Behörden wäre das völlig undenkbar (eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als eine Person ohne Personalausweis durch eine deutsche Grenzkontrolle) – selbst die Anwesenheit der Garde der irischen Polizei , auf den Straßen hat mich nicht weiter gestört, sehr nett war der Beamte in Donegal, der 2 Stunden lang am Hauptverkehrskreuz herumspazierte, und sich die Autos anschaute. Wen einmal jemand eine halbe Stunde auf dem Taxistreifen geparkt hat – kein Problem. Wird in Deutschland ein Ordnungshüter eines solchen Vergehens angesichtigt, wird nicht gezögert, und sofort der Strafzettel, Bußgeldbescheinigung, mit praktischer Überweisung gleich dazu, unter den Scheibenwischer geklemmt und die nächste Kerbe in den Revolver geschnitzt.


14. August
16. August


© 2013 www.haukepreuss.de