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Flucht aus Dublin.

III/8/95

Dublin fair city – o tell me all of sweet Anna Livia! – Bietet sich schmutzig, laut und rund um Trinity College & Mama Anna von Autos & Menschen so überlaufen, dass es entweder schwer fällt, die ameisendicht befahrene O’Connell-Bridge heilen Fußes zu überqueren – oder im Strudelstrom der Passanten rechtzeitig seine Abzweigung zu erwischen – um im vielberüchtigten U2-Viertel Temple Bar dann über leergefegte Straßenzüge – broad and narrow – zu stolpern. Zu ihrer Ehrenrettung ist hinzuzufügen, dass es 8.30 pm war – eine Uhrzeit, in der Bono wohl noch just around the Edge is, to dig a chick or drop a drink – in seinem eigenen Café, versteht sich. 9pm ist es schon wieder so heiß, dass man es keinem zumuten möchte, mit großem Rucksack punt-los durch die Straßen jeglicher Irischer (eigentlich jeder, aber in allen anderen würden die mangelnden punt nicht weiter negativ auffallen) Stadt zu laufen, so dass sich bald der Wunsch breit macht, dass diese jegliche doch a) nicht notwendigerweise gerade jetzt Dublin sein muss und b) wenn doch, sollte man doch in einer europäischen Hauptstadt (außerdem noch eine der am schönsten gelegenen der Welt – so erzählen die Rückseiteninformationen Dubliner Postkarten zumindest) erwarten sollte, zumal in der westlichen Hemisphäre gelegen, dass dort zumindest im Centrum ein EC-Karten-Bargeld-Automat auf ausländische Benutzer wartet (das alte Hamburg ist keine Hauptstadt, zwar etwas größer als Baile Atha Cliath, aber so langsam wird es unmöglich, Hamburg ohne das Auftreffen eines EC-Automaten zu durchqueren, wie Dublin ohne Begegnung mit mindestens einem Pub.) Also dann aufgemacht zum externen Bahnhof Dublins (die Iren sind noch verrückter, was die Strafen für das Spucken auf Fußwege & ähnliche Vergehen anbelangt: 1x Rauchen in Bus oder Bahn ist für den Schnäppchenpreis von 400 punt oder Haftstrafe oder (bei Zigarren vermutlich) beides zu haben – dagegen sind die £ 50 in Britischen Öffentlichen Nahverkehrsmitteln doch nur Peanuts (viele Iren fahren bestimmt öfter mal rüber zum ungeliebten Bruder, nur um im Bus zu rauchen – wieder 350 punt gespart! A bargain!), glücklich eine Wechselstube gefunden & nen Hunni getauscht (hätte ich auch auf der Fähre machen können, aber ich muss die Iren ja erst noch kennen lernen, was die europäische Ausgliederung betrifft)- und mich über die 10punt – Note herzlich gefreut – wir haben auf dem (in etwa dem Wert entsprechenden) 20 Markschein die biedere Heidekraut & Erika-Dichterin Annette von Droste-Hülshoff (finsterste Spätromantik) – die Iren können sich jedes Mal, wenn sie den 10 punt-Schein in Händen halten, um die Runde Guinness zu bezahlen, sich am Konterfei ihres nicht immer geliebten, selbst exilierten, schließlich aber rehabilitierten weil größten Sohnes ihres Volkes erfreuen – James Aloysius Joyce blickt ihn da versonnen und etwa vierzigjährig an (und wenn der Barmann (oder Paul) mit den pints nicht rüberkommt, so kann er sich immer wieder an den Anfangszeilen des wohl abgedrehtesten Buches der Weltliteratur erfreuen – Riverrun, past Eve and Adam’s, ... das kennen wir ja alle, ist aber immer wieder schön – und wenn klein Paddy oder klein Molly vom Grandpa ihre erste 10 punt geschenkt bekommen, werden auch sie diesen Satz lesen, und ihn wunderschön finden, und Grandpa fragen, ob es noch mehr so schöne Sätze von diesem verträumten Mann gibt, und dann wird Grandpa sagen, oh yes, und er wird dann mit leuchtenden Augen die Erstausgabe von ‚Finnegans Wake’ vom Boden holen, die er dort vor seiner Frau versteckt gehalten hat (schließlich ist es pornographisch) und sagen ‚here my lad (oder lass), read it carefully, and you will learn all the things about life you will have to know’, und dann wird er mit dem siebenjährigen das erste Mal in den Pub um die Ecke gehen, eine runde Guinness bestellen, für den (oder die) die erste pint mit, und wird mit noch einem 10 punt-Schein bezahlen, verträumt lächelnd zum ungezählten Male lesen... und so werden alle kleinen Paddys und Mollys zu totalen Joyceans vor dem Herrn JAJ & auf der Insel der Weisen und Heiligen und Säufer – eine Idee für die man die irische Regierung sogar wiederwählen könnte. Dann also (nicht mit der 10 punt-Note) erstmal gefrühstückt, sehr konfus, sehr verschwitzt, doch einigermaßen gesättigt – und schließlich Zeit für das erste echte irische Guinness – in Irland gebraut, in Irland gezapft, in Irland bezahlt (mit irischem Geld – (2 punts, das teuerste bislang) 5 punts anyway) und totally in Irland getrunken (auch wenn’s kein so ganz original Irish Pub war, sondern nur am Bahnhof zugwartend – schmeckt aber eigentlich genau wie in England auch – also lecker natürlich) – und dann den ersten Zug geschnappt der weiter als bloß Kildare fährt – Cork City um genau zu sein – da gibt’s auch ein Youth Hostel, welches ich dann zweck’s duschen & schlafen in einem Bett (nicht Liege oder Zugsessel oder ähnliche bettähnliche Gegenstände, die meinen Rücken die letzten Tage malträtiert hatten) aufsuchen werde – mal wieder `nen neuen Stempel in meinem kleinenblauen DJH-Heftchen stempeln lassen.
Hat er auch gleich gemacht. Das also ist Cork City, die ich glaube zweitgrößte Stadt Irlands. Zu Geschäftszeiten so hektisch, als wolle man Dublin als Metropole den Rang ablaufen, nach 19.00 aber irgendwie auch nicht viel lebendiger als ein 2000 Seelen-Kaff im tiefsten irischen Winter (auch wenn die irischen Winter meistens ja ziemlich milde sind); und kulturhistorisch auch nicht überall auf dem laufenden – Patricia Morrison ist nun mal schon 1988 bei den Sisters ausgestiegen (was aber offensichtlich noch nicht überall hin vorgedrungen ist). Ein Rundgang um die Kathedrale hoch droben auf dem Berg offenbart nicht nur, dass man zu dieser (unchristlichen) Zeit – etwa 8.30 pm – keinen Zutritt zu dem geheiligten Gelände bekommt; auch der Zerfall einer (für irische Verhältnisse) Großstadt unmittelbar dahinter bleibt selbst wohl einem unkonzentrierteren Beobachter nicht verborgen. Sandsteinwände vor Industrierauchfärbung nahezu schwarz, desinteressierte Kinder, mit der Mutter und zwei Generationen alten Spielen spielend (es kann natürlich auch sein, dass sie durch eine Generation von zehn Geschwistern gealtert ist). Straßen und Fußwege, die seit ihrem Erbauen vor mehr als 50 Jahren keine Ausbesserung mehr erfahren haben. Im Pub Downtown dann wieder teilnahmslos vor Guinness & Bitter sitzende alteingesessene Corker – dilettantische Tattoos tragend und über die Spende von Twopence mit dem Publician streitend... 100 yards weiter der letzte Schrei der gehobenen Corker Society: Karaoke mitsamt Live-DJ + A-nimierdame von Cooper’s – Ireland new Cider – serve ice-cooled. Probieren wollte ich dann nicht mehr, nur noch mein Getränk leeren & dann den gut gefüllten Magen (bei schlecht unterrichteten Kassierern bezahlten) gen Youth Hostel getragen.
Woran es liegt, dass der englischsprachige Raum unter ‚Peperoni’ keine grüne scharfe Pfefferschote sondern kleine dünne Salami, weiß ich wirklich nicht, allerdings bin ich beide Male im englisch-gälischsprachigen Raum darauf hereingefallen – nächstes Mal bin ich auf jeden Fall gewarnt.

2. August
4. August


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