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Galway oder eben nicht.

VI/8/95

Also: ‚As I went down to Galway town to seek for recreation, on the 5th of August, me mind bein’ elevated...’ schön und gut. Ich bin also wider Erwarten doch angekommen – und wie das Leben so spielt, hätte ich das besser bleiben lassen sollen. The Galway Races haben nach all den Jahren nichts an ihrer Faszination & Anziehungskraft auf alle anderen Iren (und andere Touristen) verloren und dementsprechend platzte die Stadt, ihre Straßen, Parks, Hotels, B+B’s & Hostels aus den letzten (vom vorigen Jahr notdürftig geflickten) Nähten, und folglich nicht die geringste Chance, um 9.30 pm noch irgendwo in der gesamten Umgebung noch ein freies Bett zu bekommen. Also den Rucksack geschultert (der Bahnhof hatte inzwischen abgeschlossen), kurz die Karte sondiert und dann sich auf die Intuition verlassend (womit ich bisher die besten Erfahrungen gemacht habe – immer, wenn ich zuviel gedacht habe, war’s falsch, d.h. wenn man in Irland geradeaus will, muß man immer um die Kurve fahren) in Richtung Nordwesten gestiefelt. Nach diversen Meilen gedrängele durch von tausenden auf der Straße Bier trinkenden Menschen jeglicher Couleur und and dem Platz vorbei, wo die Races stattfinden, wurde es dann irgendwann etwas ruhiger, bis sich schließlich die noblem Wohnhäuser Galways passierend so gegen 12 pm dem Trubel namens Galway Races zumindest vorläufig entkommen war. Noch ein bisschen, ein paar Kilometer, weitergegangen, und mir dann irgendwo auf einer Wiese hinter einer Mauer, damit das Licht der vorbeifahrenden Autos (auch wenn es hier nicht mehr allzu viele waren) nicht so nervt, Schlafsack ausgerollt (man muß ja auch mal seine Fähigkeiten im off-road-betrieb testen) und auf etwas unebenen Untergrund das Schlaflager bereitet. Logisch, dass der Schlaf unter solchen Bedingungen nicht allzu tief und ebenso nicht allzu lang ist, also bei Sonnenaufgang wachgeworden, den zwar nassen, aber nicht wasserdurchlässigen Schlafsack aufgerollt, das Ränzel geschnürt und weiter ging es auf der Flucht vor Galway. Aber was für ein überwältigender Anblick bietet Connemara in den frühen Morgenstunden, mit Frühnebel und ersten Sonnenstrahlen durch ihn hindurchblinzelnd und über die Berge kriechend. Meile um Meile gen Norden, an zurückgelegenen B+B’s vorbei und mich böse anschauenden Rindern, und Pferden, die kurz auf die sie eigentlich zurückhaltende Mauer steigen und friedlich weiter fressen, schließlich in die (typisch Irisch) sich über ca. 2km direkt am Straßenrand erstreckende Ortschaft Oughterard hinein. Inzwischen war es kurz vor 8 am, die ersten Schilder wiesen darauf hin, dass um 8 geöffnet werden sollte, und ich konnte meinen Rucksack stöhnend absetzen und mich auf eine Bank vor einem Pub setzen. Mich umblickend stellte ich fest, dass am vorigen Abend auch hier das Chaos am toben gewesen sein musste, denn überall lagen leere Plastikbecher, Servietten, Plastiktüten und ähnliches auf der Straße und den Fußwegen (das erste, was die Ladenbesitzer taten, war erst mal ihren Eingangsbereich sauber zu fegen), und auch die Mülleimer quollen über. Ob Galways Festivitäten ihre Auswirkungen bis 25 Kilometer hinter seine Grenze spüren ließ, oder hier etwas anderes vor sich ging, war allerdings nicht eindeutig herauszubekommen. Nach einer kurzen Verschnaufpause konnte ich mich dann auch umsehen und freudig feststellen, dass es nur drei Stunden dauern sollte, bis der nächste Bus Richtung Westen fuhr (schließlich wollte ich nicht zurück nach Galway) und so machte ich mich zum Frühstück auf, welches aus 1 pint – nicht Guinness, sondern Milch und drei Schokoriegeln bestand (nicht zu vergessen 2 Magnesiumkautabletten) – selbstverständlich besser als nichts, und dermaßen gestärkt war ich drauf und dran die 70 km nach Mulraney gleich im Laufschritt zurückzulegen, aber ein kleines Ziehen in der Nackengegend hielt mich gerade noch davon ab. Oughterard glänzt ansonsten durch eine gesunde Zwiespältigkeit, nicht zu wissen, ob man nun noch Galwaytown oder Galway Country sein soll, sowie einen Shop mit (zugegebenermaßen schönen) Aran-Pullovern, obwohl wir doch gar nicht auf den Arans sind.
Der Bus kam also schließlich doch noch, fuhr nach Clifden (der heimlichen Hauptstadt Connemaras, ein Fischerort am Atlantik, etwa 1000 Einwohner zählend), ca. 25 km südlich von Westport – aber da war dann auch bis auf einen kleinen Abstecher nach Roundstone auch Dead-end, trotz bestimmt hübscher (auf der Karte eingezeichneter) Küstenstraße via Westport nach Mulraney, so was wie ein Bus gibt es da nicht (allerdings werden, je weiter nördlich man kommt, die Straßen naturgemäß auch immer abenteuerlicher und schmaler. Blieb mir schließlich nichts anderes übrig, als die angegebenen 2 Stunden (auch darauf sollte man sich nicht unbedingt verlassen) zum größten Gewinn zu verwenden, also primär erst mal etwas richtiges zu mir zu nehmen. Da kam mir doch der geräucherte Lachs in dem Pub mit der unfreundlichen, vertrottelten Bedienung ganz gelegen, und der ‚Smoked Salmon’ war dann auch 1. prinzipiell und 2. im speziellen und 3. in meiner nicht gerade hervorragenden Verfassung über jeden Zweifel erhaben. Dazu das übliche Schwarzbrot flüssig und die Welt sah schon wieder freundlicher aus, auch wenn sie draußen wie üblich von der Sonne ausgedörrt wurde. Der Bus hatte dann auch passenderweise 30 Minuten Verspätung, so dass wir dann einigermaßen gar einstiegen. Dieser Zipfel der Insel ist allerdings in seiner karg wirkenden dennoch vielschichtigen Schönheit unvergleichlich, und die Nachmittagssonne tut dann ein übriges dazu, die hunderte verschiedenen Grüntöne hervorzuheben und zu unterstreichen, und die Mixtur mit den tiefblauen Seen noch vollkommener zu gestalten. Keine gerade Fläche ist bis zu denen am Horizont in alle Richtungen aufsteigenden Berge auszumachen, ein ständiges Auf und ab kleinerer und größerer Hügel, das grün immer wieder durchbrochen von kleinen grauen Flecken – seien es kleine, durch Wettereinflüsse beinahe rund wirkende, in der grau-schwärzlichen Färbung der Berge von Connemara gehaltene Felsbrocken, oder einfach Schafe, die wie von ihren Hirten vergessen hier und wieder dort herumstehen und weiden. Dazu ein tiefblauer Himmel, nur hin und wieder von Zirruswolken durchbrochen, und man konnte vollends die Tatsache vergessen, dass man umgeben von einer Horde deutscher Touristen in einem aufgeheizten Reisebus sitzt und gerade 4 punt für diese Aussicht bezahlt hatte – wert war sie das allemal.
Und dann wieder back in Galway, wo der Zug nach Westport leider erst mal der in Richtung Dublin ist, (und auch noch der letzte heute) folglich (auch wenn morgen Bank Holiday – Feiertag ist) ziemlich vollgestopft mit besoffenen Iren sein wird, die sich bei den ‚Races’ die Kante gegeben haben, weil ja morgen frei ist und überhaupt), und sonstigen anderen Touris auch, die weiß der Geier was in Dublin oder sonst wo wollen (wie zum Beispiel ich) - mal sehen, was in Westport für eine Ultra-Party steigt, damit ich kein Bett mehr abbekomme...
Die Logik der irischen Bahnverbindungen ist verblüffend. Keine Probleme bereitet es den Reisenden, nach Dublin zu gelangen, sei es hoch im Norden von Sligo, tief im Westen Galway, Südwesten Killarney, Süden Cork oder Südosten Rosselar bzw. Wexford. Den Umweg von Killarney nach Limerick über Limerick junction mag man auch noch hinnehmen. Will man aber von Süden aus nach Galway, muß man mindestens einen Umweg über Kildare, wenn man Pech hat über Dublin / Heuston Station in Kauf nehmen. Von Galway nach Westport geht es über Athlone, also eine gute Stunde mehr. Von Westport nach Ballina (40 km Luftlinie)? Kein Problem, drei Stationen, schon ist man da. Von Ballina nach Sligo (45 km) hingegen: Ballina / Athlone / Portarlington / Dublin Heuston, dann Bus nach Dublin Connolly / Mullingar / Longford / Sligo. Geschätzte Fahrtzeit (die obligatorischen Wartezeiten großzügig miteinberechnet): zehn Stunden. Ungefähre Zeit zu Fuß: 11 Stunden. Was die Fahrkarte kosten würde, müsste ich mich eigentlich noch mal erkundigen. Das zeigt die Lebensauffassung der Iren: Wenn man geradeaus will, muß man erst mal um die Ecke gehen – was auch die Gedankengänge ganz gut zeigt.
Ein anderes Beispiel: Wenn eine Bedienung einen Wartenden fragt: „are you okay?“, dann erkundigt sie sich nicht bnach dem Gesundheitszustand eines etwas bleichen oder verwirrt dreinschauenden Zeitgenossen, sondern nach seinem Wunsch, seine an sich hervorragende Verfassung noch ein wenig zu verbessern, sei es durch Einnahme eines Sandwiches (wobei hier ein kleiner Widerspruch steckt, aber die Intention ist richtig) oder eines Getränkes etwa, und auch der Gefragte wird mit seiner ersten Reaktion ‚no...’ nicht ausdrücken wollen, dass er gleich der freundlich besorgten Kellnerin vor die Füße kotzen wird, sondern er eine Bestellung aufzugeben vorhat. Trotz anders gearteter Frage wissen also beide Kommunikationspartner, was sie mit ihrer Redewendung ausdrücken wollen, und beide können den Handel schließlich mehr oder weniger zufrieden abschließen. Wenn zum Beispiel an einem Sonntag abend an einem Schienenknotenpunkt ein Zug ins nördliche Irland einfach so eine halbe Stunde stillsteht, obwohl er aufgrund eines verspäteten Anschlusszuges schon die gleiche Zeit zu spät ist, muß das nicht bedeuten, dass gerade jemand von den Schienen gekratzt werden musste, sondern dann ist es auch möglich, dass der Zugführer und der Schaffner noch eben in der Bahnhofskneipe einen Kaffee getrunken haben, damit sie die Fahrt besser überstehen, oder aber, dass eben noch ein Anschlusszug inzwischen eine ganze Stunde Versäumnis hatte, und die Leute ja auch noch mit wollen, schließlich ist es der letzte Zug für den abend, und Zeit haben wir genug. Lokale Ereignisse schwappen noch hier herüber, irgendwas hat Galway gewonnen, was genau das sein soll, werde ich wohl morgen in der Zeitung lesen (möglich, dass es Gaelic Football ist, oder Hurling, oder weiß der Geier, der Busfahrer von Clifden nach Galway hielt es jedenfalls auch für ziemlich wichtig).

5. August
7. August


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